Eigenständig Denken in Zeiten Künstlicher Intelligenz

Ein Blog von Christoph Beck; Unternehmensberater, Time To Think Facilitator und Coach

Was ist eigenständiges Denken?

Eigenständiges Denken ist ein Alleinstellungsmerkmal des Menschen. Jeder Mensch kann diese einzigartige Kernkompetenz in sich entfachen und entfalten, wenn er will und wenn man ihn lässt.

Eigenständiges Denken ist das Denken aus sich selbst heraus, ohne äußere Anregung und Lenkung. Es ist angesichts einer Frage oder einer konkreten Situation die Entdeckung der eigenen Gefühle und Gedanken, der inneren Stimme und deren Verlebendigung mit Worten. Wer eigenständig denkt, erkennt sich selbst. Eigenständiges Denken ist ein Merkmal menschlicher Intelligenz.

Angesichts der rasanten Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) stelle ich mir als Gestalter von Denkräumen folgende Fragen:

Kann uns Künstliche Intelligenz das Denken abnehmen?

Eine Frage, die das eigenständige Denken anregt, lautet: „Worüber möchtest du nachdenken? Und was sind deine Gedanken?“ Stellt man diese Frage dem generativen Sprachmodell ChatGPT (3.5), ist die Antwort verblüffend eindeutig: „Als KI habe ich keine eigenen Gedanken oder Vorlieben. Ich bin darauf programmiert, Informationen bereitzustellen und Fragen zu beantworten. Wenn du über ein bestimmtes Thema nachdenken möchtest, stehe ich dir gerne zur Verfügung, um dir dabei zu helfen.“

Damit hat sich die KI zum Thema Denken positioniert. Sie nimmt uns nicht das Denken ab, da sie nicht selbst denkt. Sie ist jedoch ein Gegenüber, das uns beim Denken zur Verfügung steht.

Was ist und kann Künstliche Intelligenz?

Künstliche Intelligenz ist eine Maschine, ein Algorithmus, der auf einer binär-digitalen Null und Eins Logik basiert. Sie wurde und wird von Menschen entwickelt, trainiert, mit Meinungen, Wissen und Informationen gefüttert und genutzt. Ob zum Guten oder zum Schlechten, darüber entscheidet allein der Mensch mit seinen utopischen oder dystopischen Fantasien und Absichten. Das ist jedem Werkzeug und jeder Technologie immanent. Ohne den Menschen, der mit ihr interagiert, verliert KI ihre Bedeutung.

KI ist eine Sammlerin kollektiven Wissens der Vergangenheit. ChatGPT ahmt menschliches Denken nach, simuliert die Wirklichkeit, erscheint daher intelligent, ist es aber nicht wirklich. Die KI stellt neue Verbindungen zwischen alten Dingen her und lädt zum Konsum von Wiedergekäutem ein. Sie bringt also nichts Neues in die Welt.

Künstliche Intelligenz ist wie eine künstliche Blume. Es fehlt ihr, was den Menschen und seine Lebendigkeit ausmachen: z.B. Neugier, Kreativität, Emotionalität, Intuition, Empathie, Erfahrung, Integrität, Weisheit und Bewusstsein. Sie kann weder staunen, lieben noch träumen.

Wie unterstützt KI unser Denken?

Wenn wir mit KI kollaborieren, kann sie uns eine Dialogpartnerin sein. Sie denkt nicht selbst, aber sie hilft beim Denken. Sie ist keine Denkpartnerin im Sinne des Thinking Environment, doch sie ist ein Gegenüber, beantwortet Fragen und stellt Informationen bereit.

Das Denken im Dialog beginnt mit einer gemeinsamen Frage an sich selbst und an die KI: „Was denkst du zu der Frage?“ Als erweiterte Suchmaschine stellt uns die KI daraufhin ihre kollektive Intelligenz zur Verfügung. Wie die Antworten und Informationen zustande kommen, bleibt ihr Geheimnis. Auch um Wahrheit und Fehler schert sich die KI nicht. Wer also meint, mit der KI wie mit einem Menschen zu interagieren, der irrt. Statt eigenständig zu denken, erliegt er bzw. sie möglicherweise einer gewissen Faulheit und macht sich abhängig.

Der Mensch ist und bleibt verantwortlich. Er allein muss das, was er als Antwort oder Information erhält, mit seiner Kompetenz zum eigenständigen Denken aufnehmen und bewerten. Dann muss er alleinverantwortlich entscheiden, wie er möglichst viel seines Menschseins in die nächste Frage einbringt. So provoziert die KI ihn also auf seiner Suche nach Wahrheit, Zukunft und Neuem zu immer präziseren Fragen. So geht das kreative, eigenständige Denken im Mensch-Maschine-System der KI weiter.  

Was lehrt uns die Künstliche Intelligenz?

KI kann uns lehren, ureigene menschliche Qualitäten wertzuschätzen und sie im Spiegel der KI individuell und kollektiv weiterzuentwickeln.

Wir sind lebendige Wesen und gestalten unsere Zukunft, nun auch mit KI. Sie ist ein mächtiges, uns ermächtigendes Werkzeug. KI verändert  die Wirklichkeit und prägt unsere Zukunft - manche sagen radikal  - in vielen Bereichen. Und wenn wir in der Wirklichkeit leben wollen, dann macht es Sinn, KI wahrzunehmen, zu hinterfragen und mehr darüber nachzudenken.

Denn KI provoziert  uns, Antworten auf uralte menschliche Fragen zu suchen, z.B.: Was ist lebendige, menschliche Intelligenz? Was zeichnet den Menschen und seine Menschlichkeit aus? Was wollen wir der KI anvertrauen? Wie richten und lenken wir sie so aus, dass sie uns nützt und uns eine lebenswerte Zukunft sichert? Können wir KI auf etwas Drittes ausrichten, an dem wir gemeinsam arbeiten? Kann bzw. wie kann sie uns helfen, die Welt zu retten? Und vor allem, und das wird angesichts KI immer wichtiger: Wie bewahren und stärken wir unsere einzigartige Kompetenz, eigenständig zu denken – individuell und in Gemeinschaften?

Wie geht es mit der Künstlichen Intelligenz weiter?

Wenn man die KI (ChatGPT 3.5) fragt: Wann wirst du eigene Gedanken und Vorlieben haben? Dann bekommt man zur Antwort: „Es gibt derzeit keine Pläne, KI-Modelle wie mich mit eigenem Bewusstsein oder eigenen Vorlieben auszustatten.“

Last, but not least: Achtung! KI schert sich nicht um Wahrheit und Fehler.

Anmerkung: Der besseren Lesbarkeit wegen ist nichts gegendert.